Mensch und Mikrobiom
Der Mensch und sein Mikrobiom
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Begriffe
Mikrobiom: Im engeren Sinne bezeichnet das die Gesamtheit der mikrobiellen DNA im menschlichen Körper. Im weiteren und umgangssprachlichen Sinne bezeichnet der Begriff Mikrobiom die Gesamtheit aller Mikroorganismen im menschlichen Körper. Beim Menschen werden Mikrobiome je nach Körpernische (Darm, Haut, Mundhöhle, Vagina, usw.) unterschieden. Das Darm-Mikrobiom befindet sich im Lumen in der Àusseren Mukusschicht des Darms.
Kommensale: Bezeichnet den Organismus, der zusammen mit einem anderen Organismus von der gleichen Nahrung lebt, ohne diesen zu schÀdigen.
Eubiose: Bezeichnet das Gleichgewicht der Bakterienkulturen im Mikrobiom des gesunden Menschen.
Dysbiose: Bezeichnet ein gestörtes Gleichgewicht der Bakterienkulturen im Mikrobiom, das Gegenteil der Eubiose.Â
VitalitĂ€t: Bezeichnet die körpereigene mentale, physische, emotionale und soziale LeistungsfĂ€higkeit. Sie drĂŒckt sich aus durch Lebensfreude, Lebenskraft und Lebendigkeit.
Probiotika: Bezeichnet lebende, nichtpathogene Mikroorganismen, die einen gesundheitlichen Nutzen bringen [1].
PrÀbiotika: Bezeichnet Substrate, die selektiv von Wirtsmikroorganismen (hier konkret das Mikrobiom) genutzt werden und einen gesundheitlichen Nutzen bringen [2].
Synbiotika: Bezeichnet eine Mischung aus Probiotika und PrÀbiotika mit einem gesundheitlichen Nutzen [3].
Lebensraum Darm
Im Mikrobiom des menschlichen Darms sind rund 100 Billionen (100'000'000'000'000) Bakterien angesiedelt. Kein anderer Lebensraum auf der Erde ist dichter besiedelt. Im Dickdarm sind es 10'000'000'000 â 1'000'000'000'000 Bakterien pro Gramm Biomasse. Die Bakterien setzen sich zu >90% aus den beiden anaeroben Phyla der Bacillota (>75%) und Bacteriodota (>15%) zusammen und bilden etwa 10â000 verschiedene kommensale Arten. Im DĂŒnndarm sind hauptsĂ€chlich die Arten Lactobacillus und Enterococcus, und im Dickdarm ist hauptsĂ€chlich die Art Bifidobacterium neben E. Coli., Enterobacterium und Clostridium, angesiedelt. Diese komplexe Bakterienvielfalt macht den Menschen zu einem Superorganismus, welcher rund 300 mal mehr Gene als eine menschliche Zelle besitzt, und ein rund 100 mal höheres metabolisches Potential als die menschliche Leber hervorbringt [4].
Das Darm-Mikrobiom gilt als (endokrines) âSuperorganâ [5] oder âzweites Gehirnâ [6]. Es ist ein komplexes mikrobielles Ăkosystem, in dem die Bakterien miteinander leben, kommunizieren, Stoffwechselprodukte austauschen und rekombinieren. Und diese komplexe Bakterien-Darm Wechselwirkung wird stark von der ErnĂ€hrung beeinflusst. Je nach Zusammensetzung der Nahrung und der bakteriellen Zusammensetzung werden im Mikrobiom eine Vielzahl verschiedener physiologisch aktiver Stoffwechselprodukte oder Metaboliten geformt.
Was braucht es fĂŒr die VitalitĂ€t?
Voraussetzung fĂŒr eine gesunde VitalitĂ€t ist Gleichgewicht (Eubiose) der Bakterienkulturen im Mikrobiom. Dazu braucht es eine Versorgung des Mikrobioms mit einer ausgewogenen Mischung der MakronĂ€hrstoffe Kohlenhydrate, Proteine und Fette [7]. Im Mikrobiom werden die unverdaulichen NĂ€hrstoffe wie komplexe Glucane und Glucokonjugate der pflanzlichen ZellwĂ€nde (umgangssprachlich Ballaststoffe oder Fasern genannt), Proteine sowie Glycin, Taurin, GallensĂ€ure und andere Konjugate, das heisst Produkte, die durch die kovalente Kopplung von mindestens 2 MolekĂŒlen entstanden sind, metabolisiert. Die anaerobe saccharolytische Fermentation der Ballaststoffe fĂŒhrt ĂŒber die BrenztraubensĂ€ure zu âkurzkettigen FettsĂ€urenâ (engl. short chain fatty acid (đSCFA)), das heisst zu EssigsĂ€ure, PropionsĂ€ure und ButtersĂ€ure.
Die Ănderung der bakteriellen Zusammensetzung des Mikrobioms durch Störungen beeintrĂ€chtigt wesentlich die VitalitĂ€t. Ăber 90% aller Krankheiten und Beschwerden sind auf eine Dysbiose zurĂŒckzufĂŒhren. Prominente Beispiele sind chronische DarmentzĂŒndungen, Fettleibigkeit, Diabetes, Akne, Atherosklerose, Asthma, neurodegenerative Erkrankungen und bestimmte Arten von Krebs [8]. Eine Dysbiose entsteht durch mangelhafte Zufuhr von NĂ€hrstoffen, bedingt durch eine fehlerhafte ErnĂ€hrung, durch die Einnahme von Medikamenten (vor allem Antibiotika) und durch chronischen Stress.
Was 'produziert' das Mikrobiom?
Bekannte Stoffwechselprodukte des Darm-Mikrobioms sind beispielsweise Serotonin, kurzkettige FettsĂ€uren, diverse B-Vitamine (B1, B2, B5, B7, B9, B12), Vitamin K, sekundĂ€re GallensĂ€uren und die verzweigten AminosĂ€uren. Funktional bewirken diese Metaboliten eine Verbesserung des NĂ€hrstoffabbaus und regulieren Herz-Kreislauf-, Immun- und Nervensystem ĂŒber die Darm Mikrobiom - Organ Achsen, wie beispielsweise die Darm-Hirn [9], Darm-Lunge [10], Darm-Herz [11] und Darm-Haut Achse [12].Â
Kohlenhydrate, Proteine und Fette machen etwa 90 % des Trockengewichtes der Nahrung und 100 % ihrer Energie aus.
MilchsĂ€urebakterien der Gattung Lactobacillus sind heterofermentative MilchsĂ€urebakterien und fermentieren Ballaststoffe ĂŒber den Phosphoketolaseweg zu EssigsĂ€ure und MilchsĂ€ure. Sie sind die im Mikrobiom am hĂ€ufigsten anzutreffende Bakteriengattung [14].
Es ist bekannt [15], dass die im Mikrobiom vorhandenen MilchsĂ€urebakterien die grösste Vielfalt an Ballaststoffen fermentieren. Aus der Fermentierung der Ballaststoffe werden die Hexosen zu EssigsĂ€ure und MilchsĂ€ure im VerhĂ€ltnis 3:2 synthetisiert. Die EssigsĂ€ure ist eine der âkurzkettigen FettsĂ€urenâ und an der Regulierung des Stoffwechsels sowie des Immun- und Nervensystems beteiligt.
MilchsĂ€ure dient zur Energiegewinnung (Gluconeogenese) und hat zahlreiche vaskulĂ€re Wirkungen. Die kurzkettigen FettsĂ€uren dienen den Epithelzellen des Darms als Energiequelle und sind wichtige SignalmolekĂŒle. Sie binden an die Rezeptoren GPR41 und GPR43 auf den Epithel- und Immunzellen. Die Rezeptoren regulieren die AusschĂŒttung pro-inflammatorischer Cytokine, welche ĂŒber GLP1 (Glukagon-like Peptide) und PYY (Peptide-Tyrosin-Tyrosin) direkt auf das Zentralnervensystem wirken. Desweiteren inhibieren kurzkettige FettsĂ€uren die Histon Deacetylase (HDAC) in Immunzellen und Adipozyten und wirken so auf die Transkription dieser Zellen. Auf diese Weise wird der Stoffwechsel sowie das Immun- und Nervensystem reguliert.
Die kurzkettigen FettsÀuren (SCFA) verteilen sich mit Hilfe von Transporterproteinen im gesamten menschlichen Gewebe inklusive im Gehirns [16]. Dort regulieren diese den Stoffwechsel sowie das Immun- und Nervensystem. ZusÀtzlich wird der pH-Wertes auf 5.5 abgesenkt und verhindert so die Vermehrung pathogener Darmbakterien.
Aus den GallensÀure Konjugaten metabolisieren Enzyme der Darmbakterien die sekundÀren GallensÀuren. Diese emulgieren die Fette aus der Nahrung und ermöglichen so den enzymatischen Fettabbau durch Lipasen.
Aus den Proteinen hydrolysieren Enzyme der Darmbakterien kurzkettige Peptide und einzelne AminosĂ€uren. Diese werden zum Aufbau und Regeneration der DarmschleimhĂ€ute genutzt und gelangen ĂŒber die Blutbahn zu den Zellen, wo sie der Proteinbiosynthese zugefĂŒhrt werden.
Krankheiten und das Mikrobiom
Die HĂ€ufigkeit von Krankheiten, die auf BeeintrĂ€chtigung des Herz-Kreislauf, Immun- und Nervensystem beruhen, hat in der westlichen Zivilisation zugenommen. Der Anstieg korreliert mit dem zurĂŒckgehenden Verbrauch an Ballaststoffen. Es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der ErnĂ€hrung, der Aufnahme von Ballaststoffen und den daraus durch Fermentation gebildeten Stoffwechselprodukten, wie beispielsweise den kurzkettigen FettsĂ€uren.
Die ErnĂ€hrung und die daraus resultierende Ănderung der Zusammensetzung des Mikrobioms hat damit einen direkten Zusammenhang mit westlichen Zivilisationskrankheiten wie Verdauungsproblemen, Ăbergewicht, Aufmerksamkeitsdefizite, Konzentrations- und Schlafstörungen. Eine Vorbeugung oder Korrektur durch spezifisch abgestimmte probiotische NahrungszusĂ€tze ist möglich.
Die Einnahme von PrÀbiotika beeinflusst das relative Wachstum der BakterienstÀmme und Àndert damit die bakterielle Zusammensetzung des Mikrobioms und damit die Zusammensetzung der physiologisch wirksamen Stoffwechselprodukte.
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[1] C. Hill u. a., âThe International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics consensus statement on the scope and appropriate use of the term probioticâ, Nat. Rev. Gastroenterol. Hepatol., Bd. 11, Nr. 8, Art. Nr. 8, Aug. 2014, (đ)https://cdn.shopify.com/s/files/1/0769/0734/8257/files/Cryan_und_Mazmanian_-_2022_-_Microbiota_brain_axis_Context_and_causality_50804867-ed36-4690-88d2-58e0082896ba.pdf?v=1691010089đđ
[2] G. R. Gibson u. a., âExpert consensus document: The International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics (ISAPP) consensus statement on the definition and scope of prebioticsâ, Nat. Rev. Gastroenterol. Hepatol., Bd. 14, Nr. 8, Art. Nr. 8, Aug. 2017, doi: 10.1038/nrgastro.2017.75.
[3] K. S. Swanson u.a., âThe International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics (ISAPP) consensus statement on the definition and scope of synbioticsâ, Nat. Rev. Gastroenterol. Hepatol., Bd. 17, Nr. 11, Art. Nr. 11, Nov. 2020, doi: 10.1038/s41575-020-0344-2.
[4] E. M. M. Quigley, âGut Bacteria in Health and Diseaseâ, Gastroenterol. Hepatol., Bd. 9, Nr. 9, S. 560â569, Sep. 2013.
[5] D. N. Schaenzler und P. D. med F. Beigel, Superorgan Mikrobiom: Der Darm als SchlĂŒssel zu Gesundheit und lĂ€ngerem Leben. GrĂ€fe Und Unzer, 2020.
[6] E. Mayer, Das zweite Gehirn: Wie der Darm unsere Stimmung, unsere Entscheidungen und unser Wohlbefinden beeinflusst. Riva Verlag, 2016.
[7] J. Romano-Keeler, J. Zhang, und J. Sun, âThe Life-Long Role of Nutrition on the Gut Microbiome and Gastrointestinal Diseaseâ, Gastroenterol. Clin. North Am., Bd. 50, Nr. 1, S. 77â100, MĂ€rz 2021, doi: 10.1016/j.gtc.2020.10.008.
[8] A. Vijay und A. M. Valdes, âRole of the gut microbiome in chronic diseases: a narrative reviewâ, Eur. J. Clin. Nutr., Bd. 76, Nr. 4, Art. Nr. 4, Apr. 2022 (đ)https://cdn.shopify.com/s/files/1/0769/0734/8257/files/Cryan_und_Mazmanian_-_2022_-_Microbiota_brain_axis_Context_and_causality_50804867-ed36-4690-88d2-58e0082896ba.pdf?v=1691010089đđ
[9] J. F. Cryan und S. K. Mazmanian, âMicrobiotaâbrain axis: Context and causalityâ, Science, Bd. 376, Nr. 6596, S. 938â939, Mai 2022 (đ)
[10] R. Enaud u. a., âThe Gut-Lung Axis in Health and Respiratory Diseases: A Place for Inter-Organ and Inter-Kingdom Crosstalksâ, Front. Cell. Infect. Microbiol., Bd. 10, S. 9, Feb. 2020, doi: 10.3389/fcimb.2020.00009.
[11] H. Bartolomaeus, V. McParland, und N. Wilck, âDarm-Herz-Achseâ, Herz, Bd. 45, Nr. 2, S. 134â141, Apr. 2020 (đ)
[12] B. De Pessemier, L. Grine, M. Debaere, A. Maes, B. Paetzold, und C. Callewaert, âGutâSkin Axis: Current Knowledge of the Interrelationship between Microbial Dysbiosis and Skin Conditionsâ, Microorganisms, Bd. 9, Nr. 2, S. 353, Feb. 2021 (đ)
[13] S. Hokama, Y. Honma, C. Toma, und Y. Ogawa, âOxalate-Degrading Enterococcus faecalisâ, Microbiol. Immunol., Bd. 44, Nr. 4, S. 235â240, 2000, doi: 10.1111/j.1348-0421.2000.tb02489.x.
[14] E. Dempsey und S. C. Corr, âLactobacillus spp. for Gastrointestinal Health: Current and Future Perspectivesâ, Front. Immunol., Bd. 13, S. 840245, 2022, doi: 10.3389/fimmu.2022.840245.
[15] A. A. Kolodziejczyk, D. Zheng, und E. Elinav, âDietâmicrobiota interactions and personalized nutritionâ, Nat. Rev. Microbiol., Bd. 17, Nr. 12, Art. Nr. 12, Dez. 2019 (đ)
[16] S. Deleu, K. Machiels, J. Raes, K. Verbeke, und S. Vermeire, âShort chain fatty acids and its producing organisms: An overlooked therapy for IBD?â, eBioMedicine, Bd. 66, Apr. 2021, doi: 10.1016/j.ebiom.2021.103293.